Am ersten Wochenende im November herrschte schönes, spätherbstliches Wetter – ideale Bedingungen für den Weiterzug der Kraniche in den Süden. Zahlreiche, in der Region rastende Vögel nutzten die gute Thermik und die Luftströmungen aus nordöstlichen Richtungen, um das Rhinluch zu verlassen. Im Morgengrauen des 5. Novembers warteten die Zähler und Zählerinnen gespannt auf die Anzahl der von den Schlafgewässern ausfliegenden Kraniche.
Seit acht Wochen standen ehrenamtliche Kranichbegeisterte bereit, um zu ermitteln, wie viele Vögel sich frühmorgens auf den Weg zu den Äsungsflächen begeben. Bis zu 20 Kilometer legen Kraniche zurück, um auf Maisstoppelfeldern oder Grünland nach Nahrung zu suchen und sich Energiereserven für den Weiterzug in die Winterquartiere anzufressen. Das Ergebnis am 5. November ergab, dass „nur“ noch 6000 Kraniche in den Flachwasserbereichen rund um Linum übernachteten. Die Zählsaison war damit beendet. Die Herbstrast der Kraniche im Rhinluch begann zeitig Anfang September. Bei der ersten Zählung am 17.9. wurden immerhin schon 22.000 Vögel erfasst. Den Höhepunkt mit ca. 70.000 Tieren in der Region ergab der Zähltag Mitte Oktober.
Hat die Anzahl der rastenden Kraniche im Gegensatz zu den Vorjahren abgenommen? Zur Beantwortung dieser Frage müssen unterschiedliche Gesichtspunkte in Betracht gezogen werden. Landschaftliche Veränderungen und Nahrungsangebote sowie auch wetterbedingte Einflüsse wirken sich auf das Zugverhalten der Kraniche aus. Die Vögel passen sich veränderten Gegebenheiten an. Sofern angemessene Bedingungen vorliegen, wie Schlafplatzangebote und Nahrungsquellen, suchen die Vögel für sie geeignete Gebiete für die Rast auf, auch abweichend der traditionellen Zugkorridore. Auffallend waren in diesem Jahr Anfang Oktober Zahlen aus Ungarn. Etliche Kraniche aus den Brutgebieten im Baltikum und Polen nutzen die „Ostroute“ in Richtung Süden. Dort wurden im Hortobágy-Nemzeti-Park bereits Anfang Oktober über 130.000 Vögel registriert. Es ist anzunehmen, dass ein Teil der Tiere, die sonst zur Herbstrast ins Rhinluch kommen, eine andere Zugstrecke wählte.
Das Rhin-Havelluch zählt weiterhin zu den größten Binnenrastplätzen des grauen Kranichs in Mitteleuropa. Die imposanten Vögel lockten auch dieses Jahr zahlreiche Besucher und Besucherinnen nach Linum. Viele Menschen nutzten das Angebot der Storchenschmiede für Führungen und Vorträge. Das Naturschauspiel des abendlichen Einflugs der Kraniche, der Vögel des Glücks, wird bei vielen in nachhaltiger Erinnerung bleiben.
Fotos & Text: Helga Müller-Wensky